Foto: Enno Kapitza für Runner´s World
Martin Grüning, Chefredakteur der Runner´s World Deutschland, Teilnehmer an über 150 Marathon-Veranstaltungen (PB: sub 2:14 Std.), läuft seit über 40 Jahren. Im heutigen Beitrag zur Monday Motivation Rubrik erklärt der 56-jährige, wie und warum Laufen nie langweilig werden muss.
Du selbst bist heute mehr Genuss- oder Erlebnisläufer – wann und wodurch hat sich deine persönliche Einstellung zum Laufen gewandelt?
Naja, ganz ehrlich, meine Einstellung hat sich zunächst vor allem durch das Älterwerden und den damit einhergehenden Leistungsverlust geändert, aber natürlich auch durch das vermehrte Aufeinandertreffen und die Auseinandersetzung mit Freizeitathleten. Dabei erfährt man schnell, dass Laufen sehr viel mehr bieten kann als Bestzeiten. Und das erfahre ich ja nun auch täglich bei meinen Läufen. Entspanntes Laufen im Wohlfühltempo bläst den Kopf frei, bringt mich zu mir selbst, gibt mir Selbst-Bewusstsein – im wahrsten Sinne des Wortes – und ist ja sowieso der beste Weg, Herzkreislauf- und Organkraft zu stärken, meine Figur zu halten…
Wenn du selbst deine Motivation schon lange nicht mehr im Erreichen des Maximums suchst, was wiederum rätst du jemandem, der genau dieses Maximum sucht?
An die Grenzen gehen macht Spaß, darf man aber nur, wenn man kerngesund ist und sich darauf vorbereitet hat – richtig gut vorbereitet hat. Das setzt wiederum voraus, dass man regel- und planmäßig trainiert (hat). Die maximale Leistung holt nur der aus sich heraus, der sich mit dem Formaufbau Zeit nimmt, der erst die Grundlagen legt – beim Laufen ist das das aerobe Laufen im ruhigen, lockeren Tempo – und wenn er diese Grundlagen geschaffen hat, mit intensiven Einheiten die Spitzenform kitzelt, das so genannte anaerobe Training. Die richtige Mischung von belastenden (maximal 20 % des Trainings) und erholsamen Laufeinheiten sind der Schlüssel zum Erfolg.
Zum Erreichen des Maximums gehören dann auch noch die richtige Einstellung, ein rundum gesunder Lifestyle, eine perfekte Ernährung… da muss man schon ganz schön viel beachten. Aber, yep, es lohnt sich, ab und zu im Leben das Gefühl gehabt zu haben, mehr ging nicht, ich habe alles aus mir herausgeholt. Das gibt einem erst einmal eine große Befriedigung und folgend viel Selbstvertrauen. Übrigens für mehr im Leben als nur das Laufen.
Ihr versteht euch bei Runner´s World vor allem als Lauf-Motivatoren – mit welchen Mitteln fangt ihr Menschen, insbesondere Einsteiger/innen immer wieder ein?
Das überzeugendste Mittel, Menschen vom Sinn eines regelmäßigen Lauftrainings zu überzeugen, ist seine unzähligen gesundheitlichen Effekte aufzuzählen – und das tun wir gerne und immer wieder. Mit dem Laufen reduziert man Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko, rennt Altersdiabetes, Demenz und sogar dem Krebs (zumindest manchen Krebsarten) davon; optimiert seine Cholesterinwerte, steigert die Ausschüttung von Glücks- und hemmt die Ausschüttung von Stresshormonen… und – heutzutage für viele ganz wichtig – Laufen ist der Sport mit der höchsten Stoffwechselumsatzrate, was heißt, mit dem Laufen kann man am besten Kalorien verbrennen, ja, abnehmen… alles wissenschaftlich bewiesen.
Derzeit gibt es – aus dem Radsport kommend – Ansätze des Laufens in virtuellen 3D-Welten: Mit entsprechender Hard- und Software sowie einem damit verknüpften Laufband können sich Nutzer online zu gemeinsam Trainings- und auch Wettkämpfen verabreden – wie beurteilst du bzw. ihr diese Entwicklung?
Wunderbar… wenn auch (noch) nichts für mich. Ich freue mich über alles, was das Laufen facettenreicher, attraktiver macht, was dem Laufen vielleicht auch neue Zielgruppen erschließt. Ich verschließe mich beim Laufen keinem neuen Trend, bin beim Thema Laufen immer neugierig, was nicht heißt, dass ich jeden Trend dann auch wirklich mitmache. In diesem Falle: Ich persönlich mag es, beim Laufen die reale Welt zu erleben, egal ob ich durch die Stadt oder durch die Natur renne. Beim Laufen sind durch die verbesserte Sauerstoffversorgung des Gehirns die Sinne geschärft, da nimmt man seine Umwelt besonders bewusst wahr. Das ist genial. Für diesen Sinnesgenuss reicht mir das Studio und eine virtuelle Welt nicht.
Welche sportliche Herausforderung fehlt noch in deiner Vita?
Ein Triathlon könnte man meinen. Ich kann aber nicht schwimmen, kann nicht Rad fahren, also beides nicht in einer Form, die ansprechend wäre, und das Schlimmste: Ich liebe nur das Laufen. Ausschließlich das Laufen. Es gibt keinen anderen Sport, den ich mag. Zuschauen jeglichen Sport gerne, selber machen: nur das Laufen! Es ist furchtbar mit mir.
Wo siehst du dich in 10 Jahren – läuferisch und beruflich?
Ich laufe weiter, immer weiter, täglich und das auch noch in zehn Jahren. Vermutlich langsamer als heute, sicher aber nicht weniger glücklich dabei. Dieter Baumann hat irgendwann den Begriff des „Lebensläufers“ geprägt, ich bin einer von ihnen – und so froh, dass mir der Sport seit 43 Jahren noch immer so viel gibt und nicht langweilig wird. Ich kann 100 Kilometer laufen und denke nicht einmal unterwegs, woran ich jetzt wohl denken sollte… Und beruflich? RUNNER’S WORLD ist mit mein Baby, ich bin seit 25 Jahren dabei, die Medienbranche ist im Umbruch und wir stecken mitten in einem spannenden Transformationsprozess „vom Magazin zur Marke“, der wird sicher in einigen Jahren abgeschlossen sein, was und wo dann meine Position ist, weiß ich wirklich nicht. Sicher ist, dass ich mein Leben lang, meine Freude am Laufen weitergeben möchte und werde, in welcher Form auch immer, vermutlich weiter in Artikeln, hoffentlich noch öfter in Vorträgen, in Seminaren auf Youtube oder sonstwo, egal… Hauptsache ich kann meine Botschaft unter die Menschen bringen: Laufen ist die beste Lösung!
Welche Kriterien muss aus deiner Sicht eine Top-Marathon-Veranstaltung erfüllen?
Spontan fällt mir ein, dass eine attraktive Streckenführung aus meiner Sicht das Herz ist, idealerweise in einer attraktiven Stadt, natürlich mit großartiger Stimmung am Rande der Strecke. Muss die Strecke besonders „schnell“ sein? Vermutlich, wir reden ja von einer „Top-Veranstaltung“. Logischerweise muss die Organisation hochprofessionell sein… und doch authentisch, will heißen, die Teilnehmer müssen merken, dass ihre Bedürfnisse und Wünsche immer im Fokus stehen. Eine großzügige Infrastruktur an Start und Ziel ist dazu zum Beispiel sehr wichtig. Bestenfalls gibt es die Möglichkeit, neben dem Marathonlauf selbst, seinen Sport in den Tagen rund ums Event zu zelebrieren, auf einer Marathonmesse, in Clinics, Workshops. Die Teilnehmerorganisation im Vorfeld (Anmeldung, Startnummernausgabe etc.) und im Nachgang (Ergebnisdienst, Urkunde etc.) muss reibungslos funktionieren und, ja, – ich hätte es fast vergessen – eine Top-Marathon-Veranstaltung braucht auch Top-Marathonläufer, also Stars. Irgendwann dachten wir ja, es ginge vielleicht auch ohne sie, aber sie sind das Salz in der Suppe und verstärken so anschaulich in unserem Sport den einzigartigen Sportsgeist: wir alle, ob weiß, ob schwarz, ob Mann, ob Frau, ob schnell, ob langsam, ob dick, ob dünn stehen gemeinsam an einem Start und laufen gemeinsam in ein Ziel. Ein Vorbild für die Gesellschaft.
Was ist für dich das Besondere am Haspa Marathon Hamburg?
Zunächst ist es der Marathon in der Stadt, in der unser Redaktionssitz ist, in der ich (unter der Woche) lebe und arbeite, das macht ihn für mich schon besonders. Aber vor allem: Die Stadt und die Strecke sind einzigartig, mit Hafen und Alster. Das gibt’s in der Form kein zweites Mal. Und die Stimmung ist Weltklasse. Wirklich. Ich bin schon bei sehr, sehr vielen großen Stadt-Marathons mitgerannt, in New York, Paris, London, aber die Stimmung in Hamburg ist eindeutig mit die beste, „Champions-League“ würde ich sagen, die Veranstaltung gehört zu den fünf stimmungsstärksten Marathons weltweit!
Und man merkt, dass der Marathon von Läuferinnen und Läufern für Läuferinnen und Läufer gemacht wird. Hochprofessionell, aber mit dem Blick für die Details, die den Unterschied ausmachen können. Und man spürt, dass sich in der Organisation offensichtlich keiner auf seinen Lorbeeren ausruht, jedes Jahr gibt es Neuerungen, Innovationen, Verbesserungen, das kommt bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch an.
Was rätst du Athleten jetzt, knapp zwei Wochen vor der Veranstaltung?
Oh, die Liste ist lang. Ein paar Happen, okay! Aber womit fange ich an? Mit dem Wichtigsten, dem Training: das sollte jetzt, knapp zwei Wochen vor dem Marathon, so gut wie abgeschlossen sein. Ab jetzt muss der Umfang reduziert werden. Tapern nennt man das. Wer das Gefühl hat, dass er nicht ausreichend trainiert hat, muss sich klar machen: Training kann man nicht auf- oder nachholen. Keine langen Läufe mehr, ab heute bis zum Marathon! Der Umfang in dieser Woche sollte um mindestens 40 % geringer sein, als in der höchsten Marathonwoche, und in der nächsten Woche, der letzten vor dem Marathon, sollte er 60 % geringer sein. Ausrüstung: Man sollte jetzt wissen, welchen Schuh man beim Marathon trägt, denn der muss ausreichend eingelaufen sein, auch Wettkampfshirt und -hose sollten schon auf Tauglichkeit getestet sein. Ernährung und Lifestyle: Nutzen Sie das kommende Wochenende als Marathon-Simulationswochenende. Essen Sie am Samstag das, was sie auch am Tag vor dem Marathon essen wollen, stehen Sie am Sonntag so auf, wie Sie es auch für den Marathontag planen. Frühstücken Sie das, was Sie auch vor dem Marathon frühstücken wollen und gehen Sie zur Startzeit des Marathons in den Schuhen laufen, in denen Sie auch den Marathon laufen wollen. Nehmen Sie unterwegs die Verpflegung zu sich, die Sie auch beim Marathon nehmen wollen… ‚Und, hat Alles gut funktioniert?‘ fragen Sie sich anschließend und justieren da, wo es noch geklemmt hat.
Was rätst Du Athleten für den Veranstaltungstag selbst?
Das Wichtigste im Schnelldurchlauf: Stehen Sie mindestens drei bis vier Stunden vor dem Start auf. Wer die letzten Stunden vor dem Marathon verschläft, kommt auch die ersten Kilometer des Rennens nicht in die Gänge. Gehen Sie vor dem Frühstück ein wenig an die frische Luft. Traben Sie fünf Minuten locker auf und ab. Das bringt den Kreislauf rechtzeitig in Schwung, lockert die Muskulatur und gibt Ihnen einen Eindruck von der Temperatur und dem Wetter, dass Sie im Rennen erwartet. Frühstücken Sie am Morgen des Marathons, auch wenn Sie überhaupt keinen Appetit haben. Wer vor dem Rennen nichts isst, geht mit Glykogenspeichern an den Start, die nicht optimal gefüllt sind. Und Sie sollten nicht nur körperlich auf den Marathon vorbereitet sein. Eine mentale Auseinandersetzung mit dem Wettkampf beugt vielen Schwierigkeiten vor: Lesen Sie alle Infor-
mationen, die Sie zum Verlauf des Marathons erhalten, in Ruhe durch (aber nicht erst drei Stunden vor dem Start). Schauen Sie sich Streckenplan und -profil gewissenhaft an. Überlegen Sie sich rechtzeitig, wie Sie am Wettkampftag den Start erreichen wollen. Achtung: Taxen sind meist nie da, wo man sie braucht und erreichen auch selten den näheren Startbereich. Stellen Sie sich zeitlich auf einen Fußmarsch ein.
Suchen Sie am Wettkampftag rechtzeitig eine Toilette auf. Lange Schlangen vor öffentlichen Toiletten verursachen unnötige Hektik und forcieren die Vorstartnervosität. Wärmen Sie vor dem Start die Muskulatur durch lockeres Traben und leichtes Stretching auf. Halten Sie die Muskulatur warm und trocken. Die Einreibungen mit Ölen oder Salben sind überflüssig und mehr altübernommenes Ritual als wirkungsvolle Leistungsunterstützung. Begeben Sie sich rechtzeitig in den Startbereich. Damit vermeiden Sie Schieben, Drängeln und Hektik in den letzten Minuten vor dem Start. Überprüfen Sie rechtzeitig vor dem Startschuss den Sitz von Socken und Schuhen. Achten Sie auf die Schnürung. Doppelt geschnürt hält besser… Boah, ich werde beim Aufzählen ganz nervös!